2020-02-05

Nur die Rechtsfolgen

Ein junger Mann erfuhr von vermeintlich viel Bargeld bei einer älteren Spätkauf-Besitzerin.  Eigentlich mehr um Freundinnen zu beeindrucken entstand die Schnapsidee, ihr dieses Geld zu rauben.  Statt die Tat selbst zu begehen, rief er zwei Freunde hinzu, einer davon bekanntermaßen Intensivtäter, dem er die Durchführung zu- und anvertraute.  Mit dieser Verstärkung ging es zurück zum Spätkauf, in dem sich inzwischen noch ein anderer Mann aufhielt, so dass die Gruppe erst einmal abwartete.

Doch schließlich verließ die Frau ihren Laden und ging zu Fuß nach Hause, wobei sie von unserer Gruppe beobachtet wurde.  Als sie zu ihrer Haustür kam, stellte sie der Intensivtäter, bedrohte sie mit einem Messer, und die Frau begann zu schreien, was ihren Sohn in der Wohnung weckte.  Der Täter brach daraufhin den Überfall ab und rannte davon, doch der Sohn kam aus dem Haus gestürmt, verfolgte und griff ihn sich.

Im folgenden Handgemenge erstach der Täter den Sohn.  Die Gruppe floh, warf das Messer in die Spree und entsorgte die blutbefleckte Kleidung.

Die Frau, die schon vorher nicht ganz gesund gewesen war, erfuhr vom Tod ihres Sohnes und erlitt daraufhin eine schwere Blutdruckstörung, die Hirnblutungen verursachte und sie so sehr verletzte, dass sie heute in einer Art Wachkoma liegt, nur schwach selbständig atmet und rund um die Uhr betreut werden muss.  Den Spätkauf konnte die dezimierte Familie nicht halten und steht heute vor dem wirtschaftlichen Ruin.

In den nächsten Tagen überlegte sich der ursprüngliche Anstifter, dass es bei diesem Ausgang, der ja um ein Vielfaches schlimmer ist, als alles, was er geplant hatte, vielleicht besser wäre, sich zu stellen, und ging zu einem Anwalt, der ihn alsbald zur Polizei schickte.  Er wurde inhaftiert, doch der Messerstecher tauchte unter und verließ vermutlich das Land.

Der Anstifter, der ja selbst nie tätlich geworden war, wurde wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.  Da er den Überfall organisiert hatte, galt er als Mittäter, auch wenn er keinen Finger gerührt hatte.  Er wurde zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Die fahrlässige Tötung hat laut StGB tatsächlich den kleineren Strafrahmen als der Raub, daher fällt diese bei Tateinheit unter den Tisch, was man komisch finden kann.  Aber man muss sich bewusst machen, dass die tödliche Verletzung des Sohnes eher ein tragischer und kaum zu erwartender Unfall war, zumindest aus Sicht des Anstifters, wohingegen der Raub durchaus vorsätzlich und geplant war.

Doch das Landgericht berücksichtigte bei seinem Urteil weder das Geständnis strafmildernd, noch die Tatsache, dass der Anstifter sich selbst gestellt und bei der Aufklärung mitgewirkt hatte.  Sogar Mittäter, die noch nicht bekannt gewesen waren, hatte er benannt.  Also legte er Revision ein und hatte Erfolg.  Der BGH stellte fest, dass die Verhandlung am Landgericht an sich (Beweisaufnahme usw.) zwar fehlerfrei verlaufen war und auch das Urteil insofern korrekt war, wie es die Abläufe darlegte, aber die Rechtsfolge, also die Strafzumessung sei fehlerhaft, eben weil dieser Milderungsgrund nicht berücksichtigt worden sei.  Er verwies deshalb den Fall zurück an das Landgericht, wo jetzt nur die Strafe noch einmal neu beurteilt werden musste.

Soviel zur Vorgeschichte.

Damit landet der Fall also in dem Gerichtssaal, in dem ich als Schöffe sitze.  Den gesamten Ablauf wie oben geschildert erfahre ich im Wesentlichen durch das Verlesen des vorigen Urteils.  Dies wird runtergerattert, wobei sie die Berufsrichter bisweilen abwechseln, um ihre Stimmen zu schonen.  Zwischenfragen sind da nicht wirklich adäquat, schließlich wird nur verlesen, nicht erläutert.  Was man nicht mitbekommen hat, weiß man erst einmal nicht.  Man kann natürlich Details später im Beratungszimmer noch einmal erfragen, wo die Berufsrichter dann notfalls auch noch einmal in das offiziell verlesene Urteil schauen können, aber wenn man dann eine wesentliche Frage an einen schon entlassenen Zeugen nicht gestellt hat, ist es dafür zu spät.

Wer sich jetzt wundert, warum eine Straftat gegen das Leben vor einer (normalen) großen Strafkammer und nicht im Schwurgericht gelandet ist:  Ja, alle Delikte gegen das Leben landen im Schwurgericht, mit Ausnahme der fahrlässigen.  (Mit einem Strafrahmen ohne Untergrenze gilt dieses Delikt auch nicht als Verbrechen.)

Unser Angeklagter macht auf mich einen eher unbeteiligten und furchtbar jungen Eindruck.  Es fällt schwer, ihn sich als Anstifter vorzustellen, der sich Handlanger für einen Raub besorgt, um seine Pläne umzusetzen.  Er wirkt eher wie ein Mitläufer oder sogar wie jemand, der gar nicht so recht versteht, was da genau passiert ist.

Doch das ist nicht an uns zu beurteilen, denn das Urteil der vorigen Kammer steht insofern, dass die Fakten des Falles als rechtskräftig bewiesen gelten.  Wir sollen nur das Strafmaß neu entscheiden.  Manchmal muss man sich als Schöffe auf einen Aspekt konzentrieren.

Wir hören daher auch kaum Zeugen.  Nur die Ermittlungsführerin von der Kripo wird dazu befragt, inwiefern die Informationen, die vom Angeklagten gekommen sind, die Ermittlungen damals unterstützten.

Nach nur drei Stunden Verhandlung inklusive Plädoyers fällt schon das neue Urteil.  Wir sehen die Aufklärungshilfen des Angeklagten tatsächlich als relevant an und entscheiden, dass dies und die Tatsache, dass der Raub beim Versuch endete, zusammengenommen den Fall zu einem »minderschweren Fall der besonders schweren räuberischen Erpressung« machen, wodurch sich der Strafrahmen verschiebt.  (Sonst wäre er bei fünf Jahren aufwärts gewesen.)  »Schwer« ist jeder bewaffnete Raub, »besonders schwer«, wenn die Waffe auch eingesetzt wurde.  Allerdings ist der Zustand der Frau inzwischen noch schlechter als zur Zeit des vorigen Urteils, was wiederum strafschärfend wirkt.

Bei einer solchen Bewertungslage des vorigen Urteils durch die höhere Instanz besteht aber auch die Auflage, dass das neue Urteil nicht härter als das alte sein darf.  Wir reduzieren die Strafe daher nur um vier Monate auf vier Jahre und zwei Monate.

Aber man munkelt bereits, dass die Verteidigung noch einmal in Revision gehen könnte, um das Verfahren hinzuziehen.  Solange es andauert, hat der Angeklagte nämlich das Recht auf Aussageverweigerung in anderen Verfahren (gegen den dritten Komplizen).