2018-12-07

Also Hauptschöffe

Ich habe gestern einen dicken Brief vom Landgericht erhalten.  Nicht vom Amtsgericht diesmal, das für die Schöffenwahlen zuständig ist.  Ich bin jetzt also Hauptschöffe am Landgericht.  Ein Glück.  Als Hilfsschöffe gar keinen Termin oder als Ersatzschöffe zur Passivität verurteilt zu sein und womöglich trotzdem den Verhandlungen von vorne bis hinten folgen zu müssen (das müssen die wohl, nur für den seltenen Fall, dass ein Hauptschöffe ausfällt), klang nicht sehr attraktiv.  Ob das jährlich wechselt (bzw. neu ausgelost wird), ist aber immer noch unklar.  Das Anschreiben sagt, ich sei als Hauptschöffe für die fünf Jahre ausgelost worden, das beigelegte Merkblatt für Schöffen spricht davon, dass das immer für ein Jahr sei.

Im Anschreiben wurden mir auch gleich elf Termine in 2019 genannt, zu denen ich als Schöffe ins Landgericht geladen bin.  Ich bin einer festen Strafkammer zugewiesen.  Die Termine sind immer montags oder donnerstags und immer um 9:30.  Der Ort ist immer derselbe (der Wortlaut war: »Montags im Raum XY, donnerstags im Raum XY« mit gleicher Raumnummer, das scheint also auch verschieden sein zu können).  Ich nehme an, die Termine für die nächsten Jahre erfahre ich dann auch irgendwann in den folgenden Dezembern jeweils.

Neben dem Anschreiben waren noch zwei Merkblätter für Schöffen dabei.  Das eine war langweiliges Zeug über Versicherungsschutz, und das andere war so Grundsätzliches.  Vieles davon war mir schon bekannt, aber z. B. nicht die genauen Abstimmverfahren der drei bis fünf Richter (inklusive Schöffen).  Da kommen so lustige Dinge wie das Lebensalter mit hinein, das die Reihenfolge der Stimmabgaben mitbestimmt, und für eine Verurteilung reicht z. B. ein 3:2 nicht aus, das muss ein 4:1 mindestens sein.  Kompliziert wird es, wenn sich mehrere Fraktionen bilden (z. B. 2:2:1 für verschiedene Strafmaße).  Vereinfacht gesagt wird es dann immer die schwächste Strafe, auf die eine passende Mehrheit mindestens entschieden hat.

Interessant war auch, dass man als Schöffe vereidigt wird (so weit klar).  Wer aus Gewissens- oder religiösen Gründen einen Eid ablehnt, kann stattdessen ein gleichlautendes Gelöbnis ablegen (also bis auf »ich gelobe« statt »ich schwöre«).  Hinweis dazu: »Das Gelöbnis ist dem Eid gleichgestellt.«  Na das bringt's ja dann.  Ach ja, die Schlussformel »so wahr mir Gott helfe« ist keine Pflicht.  Und man darf andere religiöse stattdessen anfügen.  Sie haben nichts über Höchstlängen dieser Formeln geschrieben.  Ich denke, das Spaghettimonster der Pastafaris hat eine besonders lange Formel.  Vielleicht eine rekursive.

Über vieles, z. B. die Art, wie die Urteile zustande kommen, hat man eine Weile zu schweigen.  Das Merkblatt nennt keine klaren Fristen, sondern bleibt merkwürdig vage (»eine angemessene Zeit lang« oder so ähnlich).  Eine weitere offene Frage, besonders, wenn man bloggen will.

Außerdem war noch ein Formular dabei, das man dem Arbeitgeber geben soll und auf dem dieser bescheinigt, welche Arbeitszeiten der Schöffe normalerweise hat.  Damit wird wohl ermittelt, welche Verdienstausfälle entstehen werden.  Was nirgendwo explizit erwähnt worden ist (aber als Ankreuzoption auftauchte) war, dass der Schöffe seinen Verdienstausfallanspruch an den Arbeitgeber abtreten kann.  Dann zahlt der Arbeitgeber das Gehalt normal voll weiter und holt sich einen Ausgleich für Schaden, der ihm durch die Abwesenheit des Arbeitnehmer-Schöffens entsteht, selbst vom Gericht zurück.  Ob mein Arbeitgeber das machen will, weiß ich noch nicht.  Es kann dadurch unkomplizierter werden – für den Schöffen natürlich auf jeden Fall, aber ggf. auch für den Arbeitgeber, weil er beim Gehalt nicht lauter Sonderlocken einbauen muss –, es kann aber auch sein, dass der Arbeitgeber das Prozedere einfach nicht kennt und daher ablehnt.  (Laut Auskunft der Berechnungsstelle des Landgerichts Berlin ist es aber durchaus üblich.  Etwa die Hälfte der Schöffen benutzt dieses Verfahren.)

Den Empfang dieses Briefes muss ich bestätigen und sollte dabei auch gleich angeben, wann ich gedenke, 2019 Urlaub außerhalb Berlins zu machen.  Entsprechende Zettel sind auch schon für 2020 bis 2023 beigelegt.  Mal sehen, ob ich die in 12 Monaten noch finde.

Das letzte Schriftstück war eine Einladung zu einer Versammlung aller Schöffen zur Wahl von Schöffenvertretern im Januar.  Das findet im HE 101 im Mathebau der TU statt.  Da hab ich meine ersten Vorlesungen gehabt und hin und wieder auch das studentisch organisierte Kino besucht.  Ich werde vermutlich hingehen, schon der Erinnerungen wegen ;-)

2018-11-26

Schöffe in Berlin

Ich habe gerade einen Brief vom Amtsgericht erhalten:  Ich bin zum Schöffen berufen worden für die nächste Amtsperiode von 2019 bis 2023 (also fünf Jahre).

Schöffen sind sog. Ehrenamtliche Richter.  Sie sind einem Strafverfahren zugeordnet und müssen an allen Verhandlungstagen teilnehmen.  Am Ende des Verfahrens entscheiden die Schöffen gleichberechtigt mit den Berufsrichtern über das Urteil mit.

Ist das erwartete Strafmaß zwischen zwei und vier Jahren, wird es i.d.R. ein Schöffengericht am Amtsgericht (zwei Schöffen und ein Berufsrichter).  Bei höherem erwarteten Strafmaß eine Strafkammer am Landgericht (zwei Schöffen und ein bis drei Berufsrichter, abhängig davon, ob es eine kleine oder eine große Strafkammer ist).

Zum Schöffen kann jeder Deutsche berufen werden.  Man kann sich freiwillig melden oder auch einen anderen vorschlagen, wenn die entsprechenden Listen aber nicht mit Freiwilligen und Vorgeschlagenen gefüllt werden können, werden per Zufall Personen aus dem Melderegister hinzugefügt.  Diese Listen liegen eine Woche aus, damit jedermann Einsprüche gegen die Kandidaten vortragen kann.  Danach werden von einem Gremium im Amtsgericht die Schöffen für die nächste fünf Jahre währende Amtsperiode gewählt.

2019 fängt die nächste Periode an.  Die Listen wurden in den ersten Monaten des Jahres 2018 gefüllt (ich konnte nicht herausbekommen, ob es da einen Stichtag gab), dann zur Einsicht ausgelegt (ich weiß nicht, wo), und schließlich wurde gewählt (ich weiß nicht, wann genau).  Im November wurden dann die Briefe verschickt, mit denen die Kandidaten informiert wurden, ob sie berufen sind oder nicht.  Laut Auskunft auf Nachfrage per E-Mail vom Amt erhalten auch die Nichtgewählten eine Nachricht, Publikationen dazu (Web-Seiten oder so) finden sich aber nicht.

Im Vorfeld gab es diesmal Verwunderung, weil es wohl ungewöhnlich viele Freiwillige in Berlin gab und die Vermutung im Raum stand, eine politische Gruppe wolle dort an Einfluss gewinnen.

Ablehnen kann man eine Wahl nicht, aber einige Personen sind von Hause aus ungeeignet, z. B. wer unter 25 oder über 70 Jahre alt ist, zu krank ist, oder wem ein Vermögensverfall droht (z. B. manche Selbständige).

Pro Schöffe können es bis zu 24 Verhandlungstage im Jahr sein, in der Regel sind es aber wohl weniger (etwa zwölf).  Arbeitgeber müssen Schöffen freistellen – wie bei Zeugenaussagen.  Den Verdienstausfall erstattet dem Schöffen das Gericht (da gibt es eine Obergrenze, aber die ist recht hoch bei 61€ pro Stunde).

Einige amüsante Fakten, die mir beim Recherchieren untergekommen sind:

  • Der Bundespräsident kann kein Schöffe werden.  (Richter übrigens auch nicht.)
  • Streichung aus der Schöffenliste ist möglich beim Tod des Schöffen.
  • Schöffen müssen Deutsch verstehen und sprechen können.
  • Ein Schöffengericht ist ein Spruchkörper.


Offene Fragen bisher:
  • Wie geht es weiter?
    • Wann werde ich das nächste Mal etwas hören?
    • Was wird dann zu tun sein?
    • Wird von mir erwartet, dass ich jetzt schon etwas unternehme, mich z. B. irgendwie informiere?
  • Was hat es mit Hauptschöffen, Hilfsschöffen und Ersatzschöffen auf sich?  Man liest hin und wieder diese Begriffe.  Wird man eine die Sorte und bleibt das für fünf Jahre?  Oder wechselt das jährlich?
  • Was ist zu tun, wenn man als Schöffe von Angeklagten oder ihren Angehörigen bedrängt oder bedroht wird?
  • Wie viel eines Prozesses unterliegt der Schweigepflicht, was darf man publizieren oder mit Vertrauten besprechen?  Prozesse an sich sind ja öffentlich.