2020-01-20

Miami Vice in Kreuzkölln

Wir hatten diesmal einen Hintermann auf der Anklagebank sitzen.  Ein Herr, der sich nicht selbst die Finger schmutzig macht, sondern der organisiert hat, dass andere die Drogen über die Grenzen und nach Berlin bringen.

Zunächst freut man sich da natürlich, weil man sich denkt, dass es mehr bewirkt, solche Täter zu schnappen, als nur die Klein-Dealer von der Straße.  Aber schnell merkt man, dass auch solche Hintermänner noch nicht die großen Fische sind und nur ihren relativ kleinen Teil beitragen.  Am generellen Drogenschmuggel als Phänomen wird es nichts ändern, wenn wir eine hohe Strafe verhängen, dafür scheint dieses Gewerbe zu dezentral zu funktionieren.

Es ging um einige Kilo Heroin, also nicht unerheblich, aber eben weit davon entfernt, durch das Abfangen der Lieferung Berlin irgendwie drogenfreier zu machen.  Unser Täter wurde nicht direkt bei der Tat festgenommen, sondern Monate später in einem anderen Teil Deutschlands.  Da die Drogen aber in Berlin sichergestellt worden waren, wurde der Fall hier verhandelt.

Und der war durchaus filmreif, falls man denn auf chaotische und unglaubwürdige Geschichten steht mit Leuten, die sich undurchdacht verhalten.

Heroin in Plastiksäcken wurde in den Niederlanden in ein Auto verbaut und dann das Auto nach Berlin gefahren.  Dumm nur, dass die Polizei mit Telefonüberwachungsmaßnahmen ständig auf dem Laufenden und bei der Ankunft noch vor dem vorgesehenen Empfänger vor Ort war, die Schmuggler festnahm und Auto und Drogen konfiszierte.  Nach einigen Stunden suchen waren auch die Drogen gefunden.  Ein letzter Beutel wurde tatsächlich erst noch später gefunden, so gut waren die versteckt, und Drogenspürhunde scheinen inzwischen auch keine Wunderwaffe mehr zu sein, jedenfalls ist das mein zweiter Drogenschmuggelfall, wo Hunde nichts mehr gerochen haben.  Vermutlich eine Frage des Aufwandes beim Verpacken.

Der eigentliche Empfänger, unser Angeklagter, kam jedenfalls am Übergabeort an, nur wenige Sekunden nachdem die Polizei Auto und Fahrer eingesackt und schnell weggebracht hatte.  Da über den Empfänger noch nicht genug bekannt war (z. B. war seine Identität noch nicht geklärt, nur seine Handynummer kannte die Polizei), ließ man den erst einmal laufen.  Durch das unerklärliche Verschwinden von Lieferung und Lieferanten kurz nach einem Anruf (»wir sind jetzt da«) war allerdings genügend Unruhe gestiftet worden, so dass der verwirrte Angeklagte schließlich ausreichend deutlich am Telefon über die Situation mit Dritten sprach.

Man könnte meinen, durch unklare Vorgänge wird man vorsichtiger.  Er schien aber gar nicht an einen Polizeieingriff gedacht zu haben, sondern fragte sich nur, wo seine Lieferanten jetzt wohl seien und warum sie nicht mehr ans Telefon gingen.

Für die Richter (und uns Schöffen) bedeutete das, jede Menge Telefonprotokolle lesen zu müssen.  Dafür wurde das sog. »Selbstleseverfahren« angeordnet, d. h. wir haben stapelweise Papier bekommen, das wir zu Hause durchlesen mussten.  Es ist nicht ganz klar, ob man dafür seine eigentliche Arbeit ausfallen lassen darf (und der Verdienstausfall dann entschädigt wird) oder ob das in der unbezahlten Freizeit gelesen werden muss.  Bei noch größeren Mengen wäre es wichtig, das zu klären; hier blieb es bei einigen Stunden Lesezeit, das ging noch abends und direkt nach der Vertagung der Verhandlung.

Die Telefonprotokolle waren auch die reinste Freude.  Offenbar wollten bestimmte Beteiligte einander nicht verstehen, gaben vor, der Mensch mit der passenden Landessprache sei nicht anwesend usw.  Wir hatten natürlich die deutschen Übersetzungen der Gespräche, schlau wurde man aus dem Gesagten aber nicht immer.  Und teilweise war es geradezu komisch, mit welch naiven Mitteln die Täter verräterische Begriffe zu vermeiden suchten.

So wurde ein Kilo Heroin z. B. als »Auto« bezeichnet.  Das mag so noch angehen.  Wenn jemand am Telefon sagt, er habe ein Auto mitgebracht, okay, das könnte theoretisch bewirken, dass eine mögliche Überwachung wieder eingestellt werden muss, weil keine offensichtlich strafrechtlich relevanten Gespräche geführt werden.  Hier wurde aber von einem halben Auto berichtet, das jemand dabei habe.  Da geht es dann entweder um sehr leichten Schrott oder um etwas, das mit Autos gar nichts zu tun hat.  Die mit den Fällen betrauten Polizisten jedenfalls schienen bei allen verwendeten Schutzbegriffen immer genau zu wissen, was diese bedeuteten.

Gegen unseren Angeklagten liefen bereits mehrere Verfahren.  Um die Sache insgesamt zu beschleunigen, wurde mit Zustimmung aller Seiten eine Regelung gefunden, die es zuließ, dass das andere Verfahren eingestellt und dafür in unserem das Strafmaß entsprechend erhöht wurde.  Das juristisch sauber zu regeln, ist eine Kunst für sich.

Für mich war noch ein wenig unheimlich an dem Fall, dass ich alle beteiligten Orte der Tat in Kreuzberg und Neukölln kannte und eine persönliche Beziehung zu ihnen hatte.  Entweder, es war in der Straße, wo ich mich hin und wieder mit Freunden treffe, oder es war bei einem ehemaligen Arbeitgeber um die Ecke.  Da beginnt man sich zu fragen, was noch so alles in der eigenen Umgebung passiert, das man nie erfährt.

Im Ergebnis gab es meine bisher höchste verhängte Strafe: acht Jahre Haft.

4 Kommentare:

  1. Wegen einiger Kilo Heroin werden in Frankfurt am Main dank des Flughafens mildere Freiheitsstrafen ausgeurteilt.

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    1. Ja, dieser Umstand wurde uns Schöffen von den Berufsrichtern auch geoffenbart. Nun ja, irgendwas hat sich der Gesetzgeber vermutlich schon dabei gedacht, als er einen Straf-_Rahmen_ vorgesehen hat, wenn auch vielleicht nicht, dass es _regional_ unterschiedlich gehandhabt werden sollte …

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  2. Sisyphus wäre stolz auf euch!

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    1. Nicht jede nicht endenwollende Aufgabe ist derart sinnlos wie Sisyphus' Steinraufrollen ;-)

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